exhibition

Der Sturm. Siebzehnte Ausstellung. Alexandre Archipenko


ID: 588, Status: proof read
Exhibition period:
Sep 1913
Type:
solo
Organizing Bodies:
Der Sturm
Currency:
M (German Mark)
Ticket Price:
1 [day]; 6 [multiple entry, one year]
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Catalogue Entries: 36
Artists: 1
Gender: female: 0, male: 1
Nationalities: 1
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Date Title City Venue Type
Opening Hours
daily: 10 am - 6pm; sun: 10am - 2pm
Catalogue
Der Sturm. Siebzehnte Ausstellung. Alexandre Archipenko. Berlin: Verlag Der Sturm 1913.
Nr. of pages: 7 [PDF page number: 16].
Holding Institution: online: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Munich
Preface
Guillaume Apollinaire: Alexandre Archipenko, p. 1-6

"In der Bildhauerei sucht Archipenko vor allem die R e i n h e i t der Formen. Die abstrakten, die symbolischen, die neuesten will er finden und gestalten können.
Man bemerkt in seiner Kunst eine vollkommene Anpassung der Tradition. Oberflächlichen Geistern kann das entgehen, aber jenen, die es herausfinden wollen, erscheint es klar.
Die Neuheit des Temperaments Archipenkos scheint auf den ersten Blick zu verbieten, daß man an einem Einfluß der Kunst früherer Jahrhunderte zu glauben habe. Er hat aber alles, was er nur vermochte, daraus gezogen, er ist sich be­wußt, dalß er kühn über sie hinausgehen, sie hinter sich lassen kann.
Dummheit und Unwissenheit werden stets behaupten, daß Tango und Bärentanz weniger ästhetisch sind als die traditionellen Tänze, während sie doch die ganze Tradition, der sie sich entgegensetzen, in sich enthalten.
Archipenko wurde mit dem besten, was die Tradition bietet, ernährt. Und der Reiz seiner Werke ist der i n n e r e n Ordnung zu verdanken, die sich zeigt, ohne daß er sie aufzusuchen scheint und die zu seinen seltsamen Figuren mit der vollständig erneuerten, ausgesuchten Vornehmbeit der Formen das Knochengerüst bildet.
Wollte man seine Kunst auf eine konkrete Formel bringen, so möchte ich sie wohl dargestellt sehen, durch irgendeine von den Marquisen-Inseln stammende, prächtig tätowierte Königin, deren Haut durch die „Pappa"-Bucht fast wie die einer Europäerin gebleicht ist, eine Königin, die vor dem Altar der Meeres­Göttin Atoüa einen Bullier-Cancan tanzt, den ihr irgendein französischer Matrose oder ein aus Neu-Kaledonien entwichener Sträfling beigebracht haben dürfte.
Man fühlt in dem weihevollen Charakter der Kunst Archipenkos den religiösen Einfluß in der Entwicklung seines Temperaments. Fromme naive Bilder waren wohl eine Freude für seine Kinderaugen, die sie verklärten und staunend ver­größerten. Es würde mich nicht wundern, wenn er in seiner Kindheit sich aus Seifenschachteln und blauem Spitzenpapier kleine Altare gebaut hätte und darauf ein vergoldetes Gipsfigürchen der heiligen Jungfrau oder ein byzantinisches Heiligenbild stellte, ringsherum winzige Wachslichter auf versilberten Leuchtern.
Wie bei jedem Mystiker erwachten seine Sinne frühzeitig. Geschah es schon in dieser Zeit, daß bei ihm diese Verbindung jener beiden Richtungen erfolgte, die man Vater und Mutter seines Werkes nennen darf?
Er erfaßte die Notwendigkeit, vor allem seiner Zeit zu gehören und das Leben der Gegenwart in seirie Kunst aufzunehmen.
Man merkt seinem Werke an, daß er früh durch die heilige Nacktheit der orientalisch - mythologischen Kunst angezogen wurde. Die griechische Skulptur unterrichtete ihn. Aber die reinere und mystischere ägyptische Skulptur offen­barte ihm Plastik und Stil und beeinflußte ihn am stärksten.
Ein Hieroglyphenpapyrus von Teutamoin lockte ihn wegen seiner erotisch-symbolischen Darstellungen von Himmel und Erde. Die Bildsäulen der Priesterinnen, die notdürftig mit Leopardenfellen bekleideten Götter, die Figuren der Athlophoren von Berenice-Euergates und der Canephoren von Arsinoe Philadelpha oder von Arsinoe Philopator, die auf den Gräbern Thebens oder von Beni-Hanan dargestellten religiösen Tänzer befruchteten seine Phantasie. SchnelI vorübergehende Visionen bewegten ihn sehr heftig.
Mit Erstaunen hatte er die barbarischen Gesichtszüge der Götzen afrikanischer Volksstümme auf den Bas-Reliefs des Speos von Beit-Qualli aufgenommen und die sonderbaren Gebärden der kriegsgefangenen Neger auf dem großen Speos von lpsamboul dargestellt erfüllten ihn leidenschaftlich.
Er betrieb seine Forschungen weiter und Iernte die chinesische Kunst kennen. Der Sakya-Mouni des India-House­Museums ließ ihm die Oberflächlichkeit der griechischen Kunst erkennen.
Die Darstellungen der Geburt Buddhas, des Bambusgartens der Kiä-lan-Hio und des Zyklus der Verwandlungen hatten seine frommsinnige Seele erregt. Jetzt fühlte er erst seine eigentliche Berufung, begann er liebevoll menschliche Formen zu bilden. Mit Klugheit studierte er das Verfahren der modernen Meister, deren Temperament dem seinigen am meisten verwandt schien. Die florentinische Zeit mit ihrer Sensualität wirkte auf ihn ein und Vinci, Boticelli und Johann von Bologna offenbarten ihm nach und nach die Geheimnisse ihrer Kunst. Auch Jean Goujon beeinflußte ihn und die französische Sensualität des achtzehnten Jahrhunderts mit Falconet und Clodion. Er lernte von diesen Meistern die Praxis seines Berufs, die man kennen, aber nur bedingt verwerten muß. lndessen: seine künstlerischen Darbietungen erschienen ihm inhaltslos. Die Feinheiten dieser Meister gefielen seinem wilden Temperament wenig. Nach dem Worte des Philosophen fühlte er, daß man ein kleines Körnchen Torheit in diese Weisheit mischen müsse. Er sah nur manuelle Geschicklichkeit und oberflüchliche Sensualität. Sein Schönheitssinn fand in dieser Kunst nur eine Darstellung von Wünschen der Sinnlichkeit, etwas Mondänes und Bürgerliches, das seiner Seele widerstrebte. Er vermißte das G e i s t i g e.
Das Bedürfnis, mit seiner ganzen sinnesfrohen Seele zu glauben, bewegte ihn ebenso stark wie die Notwendigkeit, dieses Bedürfnis nach außen kundzugeben. Schon lange war sein nie zufriedener Geist durch diese zu guten oder zu schlechten Übertreibungen der verschiedenen Schulen abgestoßen worden. Ihre beständige Sorge um die Moral hatte ihn sogar wie ein Verbrechen empört. Er hatte gewisse Wünsche und empfand manche Beunruhigung, er entdeckte gewisse Zusammenhünge, die ihn entsetzten. Die Religion erklärte sie ihm nicht, die Wissenschaft schwieg. Jetzt zog ihn seine wißbegierige, ungesättigte Seele zu den tiefsten dieser abergläubischen Ideen, die er reich und tröstlich fand. Es zeigte sich das Grundelement seines künstlerischen Schaffens, es entstanden verachtete Bildwerke, großzügig, leidenschaftlich, ungeschickt und doch vollkommen. Hier dominierte der Aberglaube.
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Die Atoüas der Nonka-Ilierin, die Zemeens der Caraiben, die feinen und doch abschreckend wirkenden Götzenbilder der afrikanischen Neger, die Baum- und Hausfetische, die Menge der Hötter endlich, die die Naturerscheinungen symbolisch wiedergaben, hatten seine verlangende und scharfsichtige Ein­bildungskraft angezogen. Er lebt an ihren Steinaltären, bei den Bildsäulen ihrer Götter und den ihnen als Opfergabe gewidmeten Bildwerken von Fetischen: Götter des Krieges und der Saat mit riesenhaften Geschlechtsteilen, irgendein zartes Frauengesicht von einem unglücklichen Liebhaber dem Liebesgotte dargebracht, eine antike Tänzerin mit tiefliegenden Augen, in wollustiger Haltung mit spitzen, herabhängenden Brüsten und andere zahllose Gottheiten.
Beim Anblick dieser antiken Bildwerke, die jünger sind als wir selbst, wurde Archipenko erleuchtet.

Indem er nur der künstlerischen Konzeption ihrer Schöpfer folgte, verstand er inspirativ, was der Künstler von dieser Kunst lernen konnte.
Er begnügte sich nicht damit, in der Skulptur eine Kunst der Nachahmung oder der Suggestion zu sehen. Er bildete Votivbilder als Ausdruck seiner innersten Gedanken, die er seinen Wünschen als Opfer darbrachte, indem er nur auf seine spröde, wunderbar kindliche Seele hörte. Er arbeitete nicht mehr zum ausschließlichen Ergötzen der Augen, sondern für seinen aberglüubischen Geist gewandt in formalen Abstraktionen.
Er komponierte Fetische, die ihn schützten in schmerzlichen Augenblicken, und andere, die Erinnerungen wachriefen. Er bildete Erinnerungen an diese oder jene Vision oder Geste. Er ließ seine vorn Orientalismus befruchtete Phantasie frei schaffen, indem er sich aber immer bewußt blieb der Unterweisungen seiner europäischen Meister, die ihn davor bewahrten, in Willkür zu verfallen und ihn durch gut assimiliertes Wissen und niernals übertriebene Geschicklichkeit unmittelbar mit sich verbanden.
Die Kunst des jungen Russen Archipenko, der in Paris arbeitet, drüngt nach unersehenem Neuen.
Ich bin Zeuge seiner künstlerischen Anfange gewesen. Man fand schon in seinen frühen Arbeiten diese plötzliche, aber sehr sanfte Änderung, die man "Änderung des Tempos (changement de vitesse)" nennen möchte.
Archipenko konstruiert die Wirklichkeit und seine Kunst nähert sich mehr und mehr der r e i n e n Skulptur (sculpture pure).
Archipenko hesitzt die nötige Begabung für die plastische Synthese.
Die einzigen Künstler in diesem Sinne sind unsere neuen Maler. Der Weg ist frei für eine Innenplastik, wo sich alle Elemente der Schönheit vereinigen werden, so wie die Sensibilität, nämlich das Auge, sie erfassen kann. Die kühnen Konstruktionen Archipenkos verkündigen sanft aber nachdrücklich die gewaltigen Reichtümer dieser Kunst.
Die farbigen Ausstrahlungen verbreiten sich über diese vermenschlichten Formen und durchdringen sie. Die Wölbungen, die ergänzenden Formen, die Richtungsunterschiede der Fläche, die unbegrenzten Grundlagen und Höhen, das ergibt die lebendige Konstruktion, die bildhauerische Wahrheit.
Man denke an seine lebhaft bewegte, im grellen Lichte badende S a l o m é, an seine vieldeutigen "z w e i Körper", seine "R u h e", seinen "R o t e n T a n z", wo das Leben sich leicht und doch nicht in Einzelheiten verliert.
Abgesehen von einigen sehr bewegten und verwirrenden Skulpturen, ist die Bildhauerkunst bis jetzt nur eine M e l o d i e gewesen. Die Werke Archipenkos sind H a r m o n i e, die ersten Akkorde."
Additional Information
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Additional Notes
Date information taken from:
Nell Walden; L. Schreyer: Der Sturm. Ein Erinnerungsbuch an Herwarth Walden und die Künstler aus dem Sturmkreis. Baden-Baden 1954. p. 258.

Opening hours, ticket price and location information taken from: Der Sturm, Jg. 4, Nr. 176-177 (Sep. 1913), p. 96.

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Name Date of Birth Date of Death Nationality # of Cat. Entries
Alexander Archipenko 1887 1964 US 36
Recommended Citation: "Der Sturm. Siebzehnte Ausstellung. Alexandre Archipenko." In Database of Modern Exhibitions (DoME). European Paintings and Drawings 1905-1915. Last modified Oct 29, 2019. https://exhibitions.univie.ac.at/exhibition/588