Catalogue
Preface
A. R-r [Arthur Roessler ?]: Egon Schiele, p. 1-7
,,EGON SCHIELE
“In mir flisst altes deutsch Blut, und oft spür' ich der Vorfahren Wesen in mir. Ein Urenkel des Justizrates Friedrich Karl Schiele, ersten Bürgermeister von Bernburg im Herzogtum Anhalt wurde ich am 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau geboren. Die bildhaft nachwirkenden Eindrücke der Kindheitszeit empfing ich von ebenen Ländern mit Frühlingsalleen und tobenden Stürmen. Es war mir in jenen ersten Tagen, als hörte und roch ich schon die Wunderblumen, die sprachlosen Gärten, die Vögel, in deren blanken Augen ich mich rosa gespiegelt sah. Oft weinte ich mit halben Augen, als es Herbst war. Wenn es Lenz war, träumte ich von der allgemeinen Musik des Lebens, alsdann freute ich mich über den herrlichen Sommer und lachte, als ich in seinem Prangen mir selbst den weissen Winter malte. Bis dahin lebte ich in Freude, in abwechselnd heiterer und wehmütiger Freude; dann begannen die Musszeiten und die leblosen Schulen. Volksschule in Tulln, Realgymnasium in Klosterneuburg. Ich kam in schier endlos und tot scheinende Städte und betrauerte mich. In dieser Zeit erlebte ich das Sterben meines Vaters. Meine rohen Lehrer waren mir stets Feinde. Sie - und andere - verstanden es nicht, dass ich von Vornehmsten der Vornehmste, von Rückgebern der Rückgebigste bin; dass ich den Tod liebe und das Leben; dass ich alles zugleich bin, aber niemals alle zu gleicher Zeit tue. Ich bin kein dualistisches Wesen: Mensch und Künstler in Einem bin ich, und ich bin für mich und die, denen die durstige Trunksucht nach Frei-Sein bei mir alle schenkt - und für alle auch, weil alle ich auch liebe. In mir ist ein ewiges Träumen [p. 1]
voll süssesten Lebensüberschusses. Rastlos, mit bangen Schmerzen innen in der Seele, lodert, brennt, wächst das Träumen zum Kampf Herzenskrampf. Ich bin wahnwitzig rege mit aufgeregter Lust - denn nun kann ich endlich die spendende Sonne Wiederehen und frei sein. Die höchste Empfindung ist Religion und Kunst. Natur ist Zweck - aber dort ist Gott, und ich empfinde ihn stark, sehr stark, am stärksten. Ich glaube, dass es keine ‘moderne’ Kunst gibt, dass es nur eine Kunst gibt, und die ist immerwährend.” –
So lautet der “Entwurf zu einem geschriebenen Selbstbildnis” von Egon Schiele, einem Künstler, der an Einsamkeit gewöhnt ist und es innerlich ertragen würde, verkannt, ja, unbekannt zu sein, und der nun doch Aufmerksamkeit und Teilnahme für sich und seine Arbeiten fordert, gezwungen von der banalen Notwendigkeit, sich materielle Daseins- und Schaffensmöglichkeit zu erringen. Denn Schiele kann wohl Bilder malen, aber verkaufen kann er sie nur selten. Natürlich ist er – die biederen Bürger mögen geruhsam bleiben – selber daran schuld. Warum malt er das, was ihm gefällt, und nicht das, was den Leuten gefällt, die sich für kunstsinnig halten, und die mitunter sogar Käufer von Kunstdingen sind! Es ist nämlich unleugbar wahr: Schieles Malereien enthalten nicht viel von der beliebten “fein-säuberlichen Ausführung,” nicht viel von der gepriesenen Naturwahrheit, keine moralische Tendenz, nichts gegenständlich Anmutiges; sie sind vielmehr sehr unvernünftig und nutzlos. Weder das Bürgertum noch die Aristokratie findet ihr Herz durch Schieles Bildwerke bewegt, ihren Geist natürlich erst recht nicht, kaum die Sinne. Er steht ausserhalb der “Gesellschaft”, ein Einsamer. Darum wenden sich Jene, die kultivierte Dummheit und gehegte Vorurteile in irgendwelcher Gestalt in seinen Arbeiten suchen, enttäuscht ab, da sie derlei darin nicht finden. Der "Inhalt" seiner Werke ist nicht neu, ist Urewiges, neu sind nur seine Ausdrucksmittel Eigentlich auch nicht, denn sie bestehen aus Linien und Farben. Also ist [p. 2]
es die Form. Ganz recht: die Form, denn es gibt nichts Neues ausser der Form.
Diese besondere, nur ihm eigentümliche Form schwingt, hat Rhythmus. Sie wirkt durch den Seh inn auf den Leib und die Seele des empfindlichen Beschauers und lockt durch ihre Bewegung geistig und seelisch zum Schaukeln, zum Schreiten, zum Tanzen; sie schwingt. Anderer Leute Malereien ersäufen uns in ihrem farbigen Gesudel, wir kriegen keine Luft in ihrem Dunst, ihre schmierigen Wogen ersticken uns, während Schieles Gemälde erleuchten, befreien, unser Bewusstsein bereichern. Unser, sag' ich, und einige Wenige mein' ich; denn unsere Zeit ist nicht eigentlich künstlerisch, hat nur für Kunst einige Anteilnahme. Das muss man wissen, um zu verstehen, dass Schiele bisher mehr sich als andern zur Lust arbeitete. Er "leistet" sich in "jugendlichem Übermut" diesen "Luxus". Und keine Hoffnung vorerst, dass Schiele "klüger" würde (Gott sei Dank!). Er will nicht, wehrt lächelnd und achselzuckend ab,
wenn ihm "wohlwollende Professoren" und gemässigt temperierte Kunstfreunde onkelhaft "nahelegen ", doch ein wenig "entgegenkommender" zu sein, d. h. zu malen. Schiele graut es nicht vor den grässlichsten Erscheinungen, die man erschauen kann, aber voll Abscheu gegen alle Konvention und vom Wesen aus ungeschickt zum Kompromiss, graut ihm vor unkünstlerischen Konzessionen und scheinfrommer Verlockung. Sich den Leuten zu nähern, hält er für verfehlt; er verlangt, dass sie sich ihm nähern. Alle Überredung hält er für verfehlt; er verlangt, dass sie sich ihm nähern. Alle Überredung hält er im Grunde trotz möglicher · Erfolge nur für'vorrübergehend wirksam, also für eigentlich durchaus vergeblich. Er spinnt Wunderliches aus eigenem Seim, wie eine Spinne und versteift sich darauf, Künstler zu sein und nur Künstlerisches schaffen zu wollen. Diese harte Eigensinnigkeit – oder wie man es sonst nennen mag – muss er natürlich büssen. Und er büsst unbussfertig, malt nach wie vor Bilder, mit denen [p. 3]
er keine anderen Absichten verfolgt, ausser solchen, die das Publikum nicht interessieren, weil es künstlerische Absichten sind. Er weiss, dass unter Umständen der Beruf des Künstlers ein grosses Opfer heischt – das Leben, und klagt darum nie
darüber, missverstanden, verläumdet, verhöhnt zu werden.
Die Leute wünschen, dass der Künstler, der von ihnen aufgenommen werden möchte, sich von ihnen nicht unterscheide, dass er seinen Beruf so treibe, wie sie ihr Geschäft. Er beunruhigt sie, wenn er anders ist, denn sie sind Bourgeois und ganz und gar normal, wie sie mit eitler Genugtuung immer wieder betonen. Der normale bürgerliche Mensch bekümmert jedoch den Künstler wenig, wie Gide einer seine Figuren sagen lässt, weil er sich unterdrücken und dennoch überall wiederfinden lässt. Der Normalspiesser ist der "Generalnenner der Menschheit, der, den man in der Arithmetik, wenn die Zähler gegeben sind, unter jeder Ziffer fortlassen kann, ohne dass sie ihre persönliche Kraft verliert. Der normale Mensch, das ist jener Rückstand, jener Rohstoff, den man nach dem Schmelzen, bei dem sich Besonderheiten verfeinern, auf dem Boden der Retorten wiederfindet. Er ist die ursprüngliche Taube, die man durch die Kreuzung der Variationen wieder erhält – eine graue Taube – die farbigen Federn sind gefallen; er hat nichts mehr, was ihn unterscheidet." Der Künstler will sich aber unterscheiden. Schiele nun ist ein Differenzierter. Seine Malereien sind die formvollen Manifestationen gesichtssinnlich nervöser Empfindungen, empfindlicher Impressionen.
Sie entstanden und entstehen aus Trieb und Drang, ohne Pose, ohne Verbitterung, völlig hoffnungslos, und gefallen darum nur jenen, denen sinnliches Erleben unscheinbarer und verborgener Lebensaugen blicke und deren künstlerisch vollzogene Übertragung auf die Fläche noch immer als Werte gelten, die sie nicht entbehren möchten.
Der persönliche Umgang mit Schiele gibt keine Behelfe zur Erschliessung mancher Rätselhaftigkeit in seiner Malerei. [p. 4]
ine Kunst ist monoligisch und in einem gewissen Betracht dämonomanisch. Manche seiner Bilder sind die Materielisationen im verdunkelten Bewusstsein hell gewordener Erscheinungen. Er fühlt hinter dem warmen Blutleben das Schicksal lauern, und gibt diesem Gefühl sinnfälligen Ausdruck in fast frommer Einfalt. Manch anderer würde sich vor solchen Aussonderungen ängstigen oder schämen, er aber freut sich ihrer, denn er hat die naive Kraft sie in künstlerische Sensationen umzuwandeln und den eltenen Mut der Grausamkeit gegen sich selbst.
Voll innerer Schleuderkraft, bedarf er der Erholung nicht, denn ihm ist das Schaffen keine Mühe, die Arbeit ermüdet ihn nicht, das Gestalten vollzieht sich bei ihm mit der leichten Selbstverständlichkeit eines gesund-natürlichen Ausscheidungsprozesses. Beschwerden verursacht ihm bloss das Erleben und die innere Umwandlung des geistig Erlebten in ein sinnlich Wahrnehmbares.
Fähig zu träumen ohne zu schlafen, eignet Schiele die besondere Künstlertugend des zeitweiligen Müssigganges, der so überaus reich an Früchten ist. Er kann Stunden verschlendern, gemächlich an einem Waldesrand, an einem Flussufer oder Seegestade, auf dem sonnigen Platz einer alten dunklen Stadt sitzen, ohne Sorge, dadurch etwas zu versäumen, weil bei ihm nicht die Not, sondern der Überfluss schöpferisch wurde. Anderen ist das Leben zu arm, ihm fast zu reich; kaum vermag er sich der auf ihn eindringenden Fülle zu erwehren. Er trachtet darum nach Klarheit, Auslese, Stil.
Charakteristisch für seine gewissermassen traumwandlerisch intuitive Art ist es, dass seine aufgestaute Kraft mitunter Bildwerke schafft, die weit über seinem eigenen verstandesmässigem Urteil stehen. Was er schuf und schafft – er ist nämlich Gestalter,
Schöpfer, nicht Schilderer, Erzähler – lässt sich in den, notgedrungen knappen Zeilen eines Begleittextes nicht sagen, nur [p. 5]
andeuten. Schiele hat Menschanantlitze gesehen und gemalt, die blass schimmern und kummervoll lächeln und dem Antlitz eines Vampyrs gleichen, dem die grausige Nahrung fehlt; Antlitz von Besessenen, deren Seelen schwären, und die unsägliches Leiden zu maskenhafter Starre gerinnen liess; Antlitze, die in feiner Art die Synthese eines menschlichen Innenlebens bildhaft geben, mit allen sachtestesten Abstufungen in den Äusserungen des Grüblerischen, Bedächtigen, Überlegenden, Verträumten, ja schier Vegetativen, des Leidenschaftlichen, des Bösen, Guten, Innigen oder Kalten. Er hat die fahlen Farben der Verwesung in Menschengesichtern mit edelsteinkalten Augen gesehen, den Tod unter der Haut, und mit unsäglichem Verwundern verklammre, deformierte Hände mit gelbem Horn der Nägel wahrgenommen. Durch Monate war er damit beschäftigt Proletarierkinder zu zeichnen und zu malen. Ihn faszinierten die Verwüstungen der schmutzigen Leiden, denen diese an sich Unschuldigen ausgesetzt sind. Staunend sah er die seltsamen Veränderungen der Haut, in deren schlaffen Gefässen dünnes, wässeriges Blut und verdorbene Säfte träge rieseln; staunend sah er auch die lichtscheuen grünen Augen hinter rot entzündeten Lidern, die verskrofelten Handknochen, die schleimigen Mäuler – und – – die Seele in diesen schlechten Gefässen. Als der Neu-Gotiker, der er ist, sah und malte er sie.
Der Schmerz ist die grosse Muse seiner Kunst, denn auch ihr ist die Trauer, die erlauchte Begleiterin der Schönheit, wie Baudetaire sagte, gesellt, und wie bei den alten Gotikern entspringt auch bei Schiele die Kunst keiner grossen Heiterkeit, sondern einem grossen Ernste.
Ausser den Bildern und Zeichnungen, die ich “gotisch” nenne, hat Egon Schiele auch noch andere geschaffen, die weniger “graulich” sind. Er hat die Leiber gesunder Kinder studiert, deren zartgefärbtes Fleisch noch milchig ist, und den voll prangendenn Körper des Weibes, in jungfräulicher Herbheit, in der schlaffen Lässigkeit der Wollust oder Wärme, in allen anderen Stadien auch auf Form und Farbe hin studiert.
Wer in Schieles Kunstwerken nur das Nackte sieht, nur das Nackte und sonst nichts, dem ist nicht zu helfen, denn “jedes Menschen Sensibilität ist sein Genie”.
A. R-r.”
Catalogue Structure
Preface, p. 1-7
Reproductions, p. 9-19
Note
Catalogue has no catalogue numbers, only reproductions:
"Liebkosung", cover page; "Aquarellierte Zeichnung", p. 9, 15; "Zeichnung", p. 10, 13, 17 and 19.