exhibition

VI. Kollektiv-Ausstellung / Amiet und Giacometti


ID: 563, Status: completed
Exhibition period:
Apr 14‒30, 1913
Venue:
Type:
group
Organizing Bodies:
Hans Goltz
Quickstats
Catalogue Entries: 30
Types of Work: painting and drawing: 6, unknown: 24
Artists: 2
Gender: female: 0, male: 2
Nationalities: 1
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Date Title City Venue Type
Catalogue
VI. Kollektiv-Ausstellung / Amiet und Giacometti. Munich 1913.
Nr. of pages: [PDF page number: 22].
Holding Institution: Frick Art Reference Library
Preface
Richard Messleny: "Cuno Amiet und Giovanni Giacometti“, p. 1-9

„Die Pflichten und Aufgaben, die uns das Schicksal aufbürdet sind zuweilen recht eigengestaltig und schon das Erkennen ihres Wesens allein macht dem Mann zu schaffen. Die naturgegebene Aufgabe Cuno Amiets, der sein bisheriger Lebensweg auch gegolten, war, die allzuschnelle Entfaltung seiner Virtuosität bekämpfen. Die Geheimnisse des Machens, der Tekne, haben sich seiner durchdringenden Intelligenz stets viel zu schnell enthüllt, so dass er immer zu Formen gelangt ist, in die er Inhalt erst durch ein viel späteres Erleben giessen konnte. Nur die Gediegenheit einer starken Natur konnte ihn vor technischer Tausendkünstlerei, vor der Maiprofessur behüten und retten, nur die unerbittliche Selbstdisziplin hat ihm den erfolgreichen Kampf gegen das allzuschnelle Weiterdrängen seiner gefährlichen technischen Leistungsfähigkeit ermöglicht.
Er rettete sich zu Van Gogh. Er kopiert den Irrenwärter. Wie Manet in gewisser Hinsicht einer Neuenthüllung Tizians und Velasquez' gleichbedeutend wird, so ist diese Amiet'sche Kopie ein Wegweiser zur schwer zugänglichen Kunst Van Goghs. Die krasse, kalte Dissonanz der Farbe, die dramatisch aufwühlende Pinselführung, die über Van Gogh hinaus zu Daumier weist, der Schmerz der Kreatur, die in Van Gogh laut wird - das hat Amiet treu, unbeteiligt, aber auch restlos vom Irrenwärter abgeschrieben. Das Bleibende in alledem war aber eines: Van Goghs Malergewissen für die Strenge, für die Notwendigkeit der Nuance ist auf ihn hinübergegangen. Gewiss, er steht als das blosse Verstehen neben diesem Feuergeist, neben Van Goghs Messiasnatur. Das Wörtchen »bloss" ist immer amüsant [p. 1] in dieser Anwendung. Etwa:,,bloss" Paulus neben Christus Diesem „blossen" Verstehen, Begreifen der Van Gogh´schen. Kunst entsprangen eine Reihe bester Amiet'scher Werke: den Blumengarten auf der der Oschwand in vielen Varianten, alle von schönster Reinheit der Farbe, ein Mädchenportrait wie das ,,Marteli", dessen dunkler, rot-blau zusammengesetzter Hintergrundmit dem hellroten Vordergrund den Klangzauber der Van Gogh'schen Nuance bewältigt, Mädchenakte auf ganz hellem fast weissem Grund, im zartesten Zitronengelb, schwarzen Haaren und feuerrotem Mund, von einer unentfalteten Herbheit, knospenheimlicher Vollständigkeit der Linie. Wie die Gegner Amiets sagen: es ist bester, französischer Impressionismus - aber importiert. Wir wollen das festhalten. Ja, all der Sonnen- und Farbenreichtum, all die Strahlung und Luftigkeit, die Materialtreue und alle Selbstherrschaft der Linie, die aus der Zeit des Van Gogh'schen Einflusses auf Amiet aus seinen Bildern so genussreich zu uns spricht, wurde in Frankreich erfunden. Allein Amiet hat nicht die französischen Blumen, Gärten, Bäche, Schneeflächen, Menschen und Dinge tel-quel aus Frankreich nach der Schweiz gebracht; er hat die ungeheuere Terminologie der grossen Impressionisten vollständig, wie kein zweiter in sich aufgenommen, in die Heimat gebracht und das Wesen der heimischen Atmosphäre in der neuen Sprache ertönen lassen. Seine Schneeflächen sind in der Luftschichte des Emmentalischen Mittellandes rosiger, der Himmel nicht so satt wie bei den Franzosen, sondern kälter, grüner, die Nelken im Sommer heiss in ihrem Rot, der Rasen nicht silberig, sondern feucht. Gewiss ohne Corot, Manet, Van Gogh wäre das alles nicht denkbar. Aber schliesslich, was ist in der modernen Malerei ohne sie denkbar? Mit Van Gogh war Amiets Aufnahmefähigkeit noch nicht ermüdet. Je tiefer er in die analytische Naturbetrachtung eingedrungen, desto stärker stieg das Gefühl des Unbefriedigtseins in ihm auf. So strahlend die Farbe geworden, so treu und [p. 2] innig die Wiedergabe des natürlichen Sinneseindrucks gelingen mochte, man suchte allerorts mehr, man dürstete nach höherem Ausdruck eigener Innerlichkeit. Die errungene Naturtreue sollte
zum Mittel werden, Naturbeherrschung zum Zweck. An dem Zug ins Lyrische, der nicht allein die Malerei unserer Tage ergriffen, konnte Amiet nicht unempfindlich vorbeigehen. Diese, zeitgemässe Sehnsucht führt ihn zu Gauguin und zu Henry Matisse. Ihren Spuren folgend kehrt er sich ab von der Modellierung- ein weiterer, ihm stets willkommener Gegensatz zu Hodler. Statt des licht- und luftumfluteten Gegenstandes wird die ornamentale Verwendung der Fläche zum Ziele, die malerische Vision zum Inhalt -- und das Bild als Eigenwesen zum Resultat.
Auf dieser Stufe der Entfaltung steht Amiet heute vor uns. Wichtig ist, dass er diesmal die neue Phase nicht über die frühere, sondern neben sie hingestellt. Amiet beherbergt heute zwei Maler in seinem schönen Landhaus auf der Oschwand, wo geradeaus das Auge wie ein freies Füllen rennen darf auf sanft steigenden und fallenden Rasenhügeln, schattenhalb der Buchenwald schützend und abwehrend seine grüne Blätterwand aufbaut und weit am hellen Himmel die ruhige, königliche Linie des Weissenstein das All, das von hieraus sichtbar, hinter dem heimatlichen Solothurn abschliesst. Den zwei Malern, die in diesem Hause wohnen, wollen wir noch einen kurzen Besuch abstatten.
Der Eine.
Ein Portrait in Pastell. Ein Herr im Freien, auf der grünen Bank vor der besonnten, weissen Mauer des Oschwander Hauses sitzend, neben sich einen zierlich aufhorchenden Terrier, vor sich eine Ecke des blauweiss gedeckten Gartentisches. Die ganze Masse nimmt einheitlich das untere linke Dreieck der in der Diagonale geteilten Bildfläche ein, daraus nur Schultern und Kopf in die vertikale Mitte hinausragen. Die eine Armlinie fällt steil zur Tischfläche, die andere sinkt sachte, weitausgreifend zur [ p. 3] Banklehen hinab und schliesst mit der Gebärde ruhiger Verdämmerter Zärtlichkeit die wohleingefügte, zartelegante Form des kleinen Terriers ein. Diese ganze so einfach wirkende und doch sichtlich differenzierte Raumverteilung, die lächelnde Sicherheit der Linienführung, sei es, dass sie die Aussengrenzen der Masse einschliesst, sei es, dass sie innerhalb derselben das Entscheidende angibt und modelliert, vermittelt das Gefühl wohltuender Beruhigung, Verlässlichkeit.
Die Farben, die sich auf dem kleinen Pastell zusammenfinden, sind im Gröbsten zufällig, einfach vom Modell abgeschrieben. Ich meine das ganz Grobe der Farbe, das sich mit den Worten bezeichnen lässt: die grüne Bank, das blaue Tischtuch, der bronzbraune Terrierfleck, die gleiche Gesichtsfarbe, der graue Anzug, die rote Kravatte. Die malerische Tat jedoch liegt jenseits der geschmackvollen Abschrift, in der Nuance. Sie ist von höchster Verfeinerung und von deutlich musikalischer Wirkung, ganz Mozartisch. Der Hintergrund, der materialtreu die grobkörnige, weisse Wand wiedergibt, auf der alle Farben des grellen Sonnenscheins herumtanzen, enthält als Ouverture, auf eine Einheit reduziert, sämtliche Töne der Bildfläche. Jede Farbe geht aus der Ouverture hervor, weil sie in ihr enthalten ist, sie ist die Palette der gesamten Koloristik. Dieser eine Maler, von dem wir jetzt sprechen, arbeitet rund, plastisch, mit Schatten, Tiefen, Entfernungen und der Gegenstand seiner Darstellung ist von fast unzeitgemässer Deutlichkeit. Die Bilder sind im gewissen Sinne fast brav und trotz aller Kühnheit der Farbe epatieren sie den Bourgeois von heute nicht - weil die Gründe, die er hierzu hätte, von allzuverborgener Natur sind.
Der Andere.
Die Leute stehen einfach Kopf. Die Obsternte auf der letzten Neuchâteler Turnusausstellung gab dazu reichlich Gelegenheit. [ p. 4]
Ich habe das Bild vor etwa zwei Jahren auf der Oschwand, im Atelier zuerst gesehen. Eine Augenweide wars und ein Seelenlabsal. Ein sommerduftiger Garten; Garben von Sonnenstrahlen durchdrangen die Luft unter vollgrünen Obstbäumen, über saftigem Rasen; muskulöse Frauen in straffen blauen Kleidern trugen schwergefüllte Apfelkörbe, übervolle, aus denen die glühendroten, süssen Rundlichkeiten mit dumpfem Schlag begehrlich ins Gras schlugen. Alles glitzernd vor weissem, tausendfarbigen Glast - und reif, die Äpfel, die Welt, die Frauen, deren Fleisch spannte unter dem straffen Kleid und die einseitige Last zog die Körper rechts runter, trieb die linken Arme hoch und spielte so seine vielfältige Kunst begründeter, realistischer Körperplastik. Ich habe mir vom fertigen Bilde eine augenblicklich schlagende. gewaltige Wirkung versprochen.
Als ich im Spätherbst 1912 zur Ausstellung nach Neuchâtel kam, staute die Entrüstung vor dem Werke. Eine rote, ziegelrote Höllenglut faucht mich an - und darunter steht: Obsternte von Cuno Amiet. Ist das aus der Herrlichkeit geworden? Rot, rot, rot und rot - erst nach langem Schauen seh ich Höhen und Tiefen darin und schwarze Linien, primitive Formandeutungen, Ich brauchte viel langes Wiederansehen, Arbeit, Denken, bis ichs begriffen habe, dass ich in Neuchâtel verlor um zu gewinnen. Was ist geschehen? Das rote Apfelglühen, das im bunten Gartenbild bloss in den Körben lag, ist aufgestiegen in gewaltiger Flut, hat blaue Frauen, grüne Gärten überströmt, erobert, mit Apfelgeist die Welt geschwängert. In der Obsternte hat sich der andere Amiet von jeglicher Naturdarstellung losgesagt, er hat alles DarsteIIerische, Körperliche, Wirkliche, das in Tiefe und Entfernung Seiende verlassen, von sich geworfen und hat sich am Duft reifer, sonnenrotglühender Äpfel einen Riesenrausch angesoffen und in dieser Trunkenheit, aber im Vollbesitz seiner immensen künstlerischen Vernunft, hat er eine mächtiggrosse Bildfläche ornamental ausgefüllt mit den kräftigen Arabesken [p. 5]
[Pages 6-7 missing]
Zubringen sind - ihren Namen kenne ich nicht, als Blüten tragen sie rosarote Sonnen, klein, helltönend reihen sie sich mit einer erquickenden Selbstverständlichkeit um das Haupt der Mutter: Sancta Maria, ora pro nobis.
Ein Porträt. Junge Frau im kornblauen Kleid mit dunkelblauer, weissgefütterter Stola um die Schultern, auf braunrot gestimmtem Grund. In der Linie und Raumverteilung ist eine gehaltene Strenge das Bezeichnende, nichts das auf Effekt ausgeht und aus der gesamten Körperhaltung lässt sich eine überaus klar empfundene, aber nicht gedachte Determiniertheit des weiblichen Wesens herauslesen. Die Linie deutet dies nur ganz von ferne an, sie ist eben erfüllt von der Elastizität niedergehaltener Kraft, doch überlässt sie alles Mitzuteilende eigentlich der Farbe und bleibt selber bei ihrer konstruktiven Funktion geometrischformeller Eingrenzung. Aus der linken unteren Bildecke steigt die Diagonale bis zum Knie der sitzenden Gestalt, da nimmt die Masse die horizontale Richtung und steigt mit dem Oberkörper schliesslich kräftig und alles überwiegend in die vertikale.
Die entschiedene Klarheit dieser alle drei Dimensionen umfassenden Einstellung gibt der still sitzenden Figur etwas innerlich Bewegtes, Wachsendes, als schösse sie vor unseren Augen in die Höhe. Der Hintergrund ist ganz in Farbe aufgelöst, kaum dass ein Fenstergesims und eine Bank leicht angedeutet sind. Die Atmosphäre einer milden Nachmittagsstunde umschwimmt braunrot die Gestalt, das gegen die Peripherien zu in ein gründurchtränktes Lila übergeht. Kräftig sitzt in diesem zarten Lichtschlummer das hellgrünblau gekleidete Weib, die Schultern mit der grünschwarzen Stola umschlagen, darin dunkelblaue Verlockungen sich tief in die Falten verkriechen und ringsum auch im kornblauen Kleide atmen kalte, wassergrüne Fährlichkeiten. Dieses leis-unheimliche Farbengezisch ertönt voll im Kopf und im Hals. Von innen heraus erleuchtet, erglüht das Fleisch auf Hals und Stirn goldgelb. Das Rosenrosa der Backen, das Karmoisin [p. 8]
der Lippen ist trotz aller Märchenhaftigkeit, trotz all der visionären Unfleischigkeit von stärkster Gegenwärtigkeit und sonderbarer Süssigkeit. Schwer und geruhig lasten massige braunrote Haarlocken, grosswellige lasten sie mit der Wucht des Wahrhaftigen auf dem zarten Köpfchen und bringen die Gestalt der Erde nah. Die Gestalt ist im seltenen Sinne eine Einheit mit der sie umgebenden Atmosphäre. Sie ist förmlich nur eine Kondensation der Farben, der Elemente überhaupt, die um sie herum unsichtbar weben und wehen. Frauen stehen zuweilen so unheimlich nah verwandt mit der Natur da, dass unsere armen Begriffe und Verständniswerkzeuge ganz komisch versagen.

F. K. hat den Ausstellungsraum mit einigen Webereien geschmückt. Das Kunstgewerbliche ist aus diesen Arbeiten vollkommen ausgeschaltet und der Inhalt der heutigen Kunstbestrebung in dieser uralten Sprache der gestaltenden Frau neu ausgesprochen.
Richard Messleny.“
Catalogue Structure
„Cuno Amiet und Giovanni Giacometti“, p. 1-9
[Reproductions], n. p.
“Ausstellungs-verzeichnis”, n. p.
“Literatur über die neue Kuns”, n. p.
„Verzeichnis der nächsten geplanten Ausstellungen“, n. p.
Note
- Missing Pages: 6-7

+Gender Distribution (Pie Chart)

+Artists’ Age at Exhibition Start(Bar Chart)

+Artists’ Nationality(Pie Chart)

+Exhibiting Cities of Artists(Pie Chart)

+Catalogue Entries by Type of Work(Pie Chart)

+Catalogue Entries by Nationality(Pie Chart)

Name Date of Birth Date of Death Nationality # of Cat. Entries
Cuno Amiet 1868 1961 CH 12
Giovanni Giacometti 1868 1933 CH 18
Recommended Citation: "VI. Kollektiv-Ausstellung / Amiet und Giacometti." In Database of Modern Exhibitions (DoME). European Paintings and Drawings 1905-1915. Last modified May 25, 2020. https://exhibitions.univie.ac.at/exhibition/563