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Catalogue
Preface
Walden, Herwarth: Das Wissen um die Kunst, 2 p.
"Ich bin nicht der Meinung, daß es um die Kunst heute schlechter seht. Es stehen nur zu viele um die Kunst herum. Sie packen sie mit stumpfen Sinnen an, sie befühlen sie, ohne zu fühlen, sie bedenken sie ohne Bedenken. Sie stellen sich vor die Kunst, ohne sie sich vorstellen zu können. Sie finden die Kunst gesucht, weil sie Gesuchtes nicht finden. Sie suchen die Natur, die sie nicht kennen. Sie kennen die Natur nicht, weil sie außer ihnen ist. Sie sind von Kunst außer sich, weil die Kunst sich in sie zwängt. Sie sind bezwungen. Dieses Lachen, dieses Höhnen ist die Verzweiflung des Unterliegenden, das Aufleben des Lebendigen gegen ihr Totes. Sie werden von dem Erlebnis geschüttelt. Ihre Kindergehirne kreisen. Das Leben reißt ihnen, müßigen Zuschauern, die Mäuler offen, sie klammern sich schreiend an Begriffe, die sich vor ihnen lösen, sie fassen in die Bilder, die sie schon längst gefaßt haben. Sie zerren an einem Zipfel der Kunst, weil sie ihnen zu groß ist. Sie nörgeln, kleine Kinder, die nicht Schritt halten können. Die Sonne scheint und die Kunst leuchtet, auch wenn Kinder noch nicht erwacht sind. Wären sie Kinder, wenn sie erwachten. Sie würden sehen, daß die Sonne eine schöne Kugel ist, wie eine Schützenscheibe, mit der man spielen kann. Sie würden sich im Urwaldgestrüpp der Farben fürchten. Sie wüßten, daß die Bäume in den Himmel wachsen und daß der Himmel in die Erde reicht. Das alles und vieles andere Schöne würden sie wahrnehmen, wenn sie Kinder oder Künstler wären. Aber solange sie es nicht sind, solange wissen sie nur, daß die Sonne nach verschiedenen Millionen Jahren ausgebrannt sein wird, daß man sich im Urwald nicht zu fürchten braucht, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und daß der Horizont eine Vorstellung ist, so eng wie das, was sie denken nennen.
Die Natur ist das brave Leuten der Wunder bar. Natur, das weiß man, wie das gemacht wird. Gewitter, elektrische Entladung. Was ist Elektrizität? Elektrizität entsteht dadurch, daß man. Entsteht? Geburt, eine höchst einfache Angelegenheit. Das eine Organ tut dazu dieses, das andere jenes. Das Denken geschieht durch das Gehirn. Man weiß noch viel mehr von der Natur. Blutkreislauf, Bakterien. Kampf ums Dasein. Atome. Elemente. Alles höchst einfache Sachen. Die Natur kennt man. Alles ist höchst natürlich. Findet man das nicht natürlich, so liegt eben ein Dämmerzustand vor. Wieder eine höchst natürliche Erklärung. Ein dauernder Dämmerzustand ist Geisteskrankheit. Alles ebenso einfach wie natürlich. Und die Wissenschaft, die es so herrlich weit gebracht hat und ganz genau weiß, wie es die Natur macht, soll mit dem bißchen Kunst nicht fertig werden? Wo die Kunst doch nur die Natur natürlich nachahmt. Bei Menschen hat die Wissenschaft wenigstens einen Blutkreislauf festgestellt. Die Kunst hat nur eine Oberfläche. Die Kunstgelehrten haben die Bilder offenbar experimentell zerschnitten und erfahrungsgemäß festgestellt, daß in ihnen nur Leinenfäden enthalten sind. Also Blut hat die Kunst nicht. Farben sind Fabrikware. Gefühltes kann man nicht malen, und die Existenz der Seele und des Geistes ist nicht nachgewiesen. Nur wie alles aussieht, das weiß man genau. Und wenn etwas nicht so aussieht, wie man es weiß, so ist das eben keine Kunst. Die Kunstgelehrten wissen, was Kunst ist. Nämlich das, was sie nicht wissen.
Wir wissen es, meine Freunde, aber wir sagen es nicht. Weil es so unsagbar schön ist.“
Catalogue Structure
"Vorwort", n.p.
"Verzeichnis", cat. no. 1-47, 3 p.