Catalogue
Preface
Meyer, Rudolf Adalbert: Paul Gauguin, p. 5-12.
"PAUL GAUGUIN.
Seltsame Gestalten, unheimliche Gespenster huschen durch eine geheimnisvolle Nacht, indes der Schläfer sich unruhig und gequält hin, und herwirft. Am nächsten Morgen ist der Traum verflogen, wir reiben uns die Augen und sehen dem klaren, logischen Licht des Tages entgegen. Klar und logisch verläuft der Tag, eine Tätigkeit entwickelt sich gesetzmäßig aus der andern. So bauen wir Stunden, Tage, Jahre konsequent und sicher auf; und nur dann und wann durchzuckt uns ein Gedanke an die großen Schatten jener Nacht. Doch wir wollen nicht an sie glauben, wir erkennen keinen Herrn über uns, haben wir doch unser Leben selber gebaut und in sich gefestigt. Wir glauben, daß wir bis an unserer Tage Ende eine schnurgerade, glatte Bahn vor uns haben. Da auf einmal taucht eine der Schattengestalten, die wir damals in dunkler Nacht gesehen, wieder vor uns auf. Ihre Stimme weckt Widerhall in unserem Herzen, eine unendliche Sehnsucht erfüllt uns, über die wohlgeordnete, platte Alltäglichkeit hinauszudringen und die Tiefen des Daseins zu erforschen. Immer mächtiger wird die Stimme, Kräfte, die wir in unserem Innern längst entschlummert wähnten, erweckt sie; immer reicher und glückspendender wird dieser Trieb, von dem wir doch zugleich wissen, daß er uns dem Abgrunde näher bringt. Wir kehren uns von dem materiellen, sicheren Glück ab und folgen zuerst tastend, dann immer leidenschaftlicher den Chimären, die einstmals in unserer halbunbewußten Kindheit ihre strengen Häupter über unsere Wiege gebeugt hatten. Führen sie uns ins Glück oder Unglück? Wir wissen es nicht, wir müssen nur folgen.
Das ist eine Legende, die man den seltsamen Holzschnitten Paul Gauguins beiheften könnte, die er in Tahiti mit kunstfertiger Hand preßte. Das ist das Bild eines Schicksals, das sich in Gauguins Leben verwirklichte.
Es war einmal ein Bankbeamter, der im Hause Bertin, rue Laffitte zu Paris angestellt war. Er unternahm auch auf eigene Rechnung Geschäftsoperationen und das Glück lächelte ihm. Er gewann Tausende. Er war glücklich verheiratet und hatte Kinder. Er bewohnte ein üppig eingerichtetes Häuschen in der Vorstadt und man speiste bei ihm auf Silbergeschirr. Sein Leben schien für immer gefestigt, sein Vermögen mußte stets wachsen, die äußeren Ehren konnten nicht ausbleiben und vielleicht hätte er seine Tage als Ritter der Ehrenlegion und als Pariser Munizipalrat bechlossen, wie der frühere Bewohner seines Hauses. Alles war klar, sonnig, heiter.
Doch die Gestalten, die seine Jugend beschattet hatten, sie kamen wieder. In Paul Gauguins Adern - denn niemand anders als er ist der glückliche Börsenmann - rollte unruhiges Blut. Seine Eltern hatten die Zeit von 1848 miterlebt. Der Vater kämpfte als Journalist gegen die Bourgeois der Julimonarchie und verließ sein Vaterland, als der Staatsstreich von 1851 die junge Freiheit gemordet hatte. In dem Herzen seiner Mutter lebten die phantastischen Bilder und Gestalten ihrer peruanischen Heimat und die Erinnerung an ihre Mutter, Flora Tristan, die einst in dem Zukunftsstaat der Saint Simonisten durch ihre Person und ihre Schriften eine große Rolle gespielt hatte. Das war eine Abstammung, die nicht zum Bankbeamten bestimmte. Schon in früher Kindheit hatten die Instinkte, die Gauguin von seinen Eltern ererbt hatte, durch einen mehrjährigen Aufenthalt seiner Mutter in Lima Nahrung gefunden. Dort lernte der Knabe die tropische Welt, die phantastischen Überlieferungen und Märchen des alten Goldlandes Peru kennen, erhielt Eindrücke, die durch die altperuanischen Geräte und Silberfiguren stets wach gehalten wurden, die seine Mutter sorgsam bewahrte. Dieser ursprüngliche, halbbarbarische Zug im Wesen Gauguins ist in seinem Charakter immer wieder hervorgetreten und macht einen Teil seiner Stärke aus. Dieser Zug zum Phantastischen trieb den jungen Mann auf die See hinaus. Auf einem Schiffe der französischen Handelsmarine gelangte er abenteuernd wieder nach Südamerika, nach Rio de Janeiro. Doch die Vernunft siegte und er trat 1871 bei Bertin ein, wo seine glänzenden Erfolge ihn bald mit Gold überschütteten. So war er auf dem besten Wege, in die Kaste der reichen Bourgeois einzutreten, die sein Vater als Mitarbeiter des ,,National" bekämpft hatte. Er begann sogar, Bilder zu kaufen und besaß bald eine stattliche Galerie, in der Manet, Renoir, Claude, Monet, Cézanne, Pissarro, Guillaumin und Daumier vertreten waren. Diese Namen müssen bedenklich stimmen: ein Finanzmann, der zugleich Amateur war, kaufte damals höchstens Corot und die Schule von Barbizon, Meissonier nicht zu vergessen. Mit der Zeit begann Gauguin, an der Malerei solchen Gefallen zu finden, daß er selber Pinsel und Palette zur Hand nahm. Zuerst schüchterne Versuche: grau, unbedeutend und tonig gemalt. Dann näherte er sich den Impressionisten und malte in reinen Farben Landschaften aus der Umgebung von Paris, tüchtige Bilder, die auf den verschiedenen Ausstellungen der Impressionisten, in der rue des Pyramides, und bei Nadar, gleich den anderen ausgestellten Werken von dem Gros der Kunstkritik bespöttelt und nur von wenigen fortschrittlich gesinnten Kritikern, wie Fénéon, Huysmans und Duret gewürdigt wurden. Er geriet immer tiefer in die Malerei, und je mehr er lernte, um so weitere Horizonte erschlossen sich ihm. Das war etwas anderes, als täglich von Mittag bis zwei Uhr unter den Kolonnaden der Pariser Börse Aktien zu handeln.
Die Werke aus jener Zeit verraten, daß Gauguin zuerst Pissarro nacheiferte. Wie alle Impressionisten hat er das Schwarz, Braun und Grau von seiner Palette verbannt und arbeitete nur mit hellen, frischen Farben, die er höchstens mit ihren spektralen Nachbarn gemischt auf die Leinwand setzte.
Man hat die lmpressionisten, die durch gemeinsame Oppositionsstellung zusammengedrängt worden waren, viel zu sehr als eine Schule aufgefaßt. In Wirklichkeit vereinen sie die verschiedenartigsten Bestrebungen. Manet sucht „moderne" Sujets auf, die er ohne anekdotisches Beiwerk wiedergeben will, erst sehr spät fängt er an, plein-air zu malen. Monet und Pissarro sind jeder auf seine Weise zur exakten Beobachtung des Lichtes in der Natur gekommen, Renoir wendet dieselben Gesetze auf den Menschen an und gelangt so zu einer unerhört intimen Auffassung der Menschen seiner Zeit; in dem Kreise dieser Künstler lebte endlich ein Künstler, der in den Kampfzeiten des Impressionismus am meisten geschmäht wurde, aber von kommenden Geschlechtern vielleicht am höchsten bewertet werden wird: Cézanne. Er ist einer der großen Befruchter der Kunst. Die alten Meister sind seine Lehrer gewesen; nicht um zu malen wie Tizian, Tintoretto oder der Greco, studierte er sie, sondern um die geheimen Gesetze des Helldunkels und der Farbenkontraste zu ergründen. Cézannes Kunst ist es, die Valeurs der Erscheinung in Farben zu übersetzen und die Beziehungen des Hell und Dunkel, des Warm und Kalt des Vorwärts und Rückwärts durch fein abgewogene Farbenskalen auszudrücken. Seine Bilder stoßen zuerst durch ihre offenbaren Zeichenfehler ab, die jeder Schulmeister korrigieren könnte, dann aber vernehmen wir ihren Wohllaut, der nie zu erschöpft ist. Auch Gauguin verdankt Cézanne unendlich viel. Besonders in seinen Stilleben ist dessen Einfluß unverkennbar und Gauguin hat ihn nie geleugnet. Gerade in diesen Stilleben festigt sich zuerst Gauguins Stil: er lernt ein Bild über die Realität hinausentwickelt als einen restlos ausklingenden Akkord von Farben und Linien hinzusetzen. Bei seinen Aufenthalten in der Bretagne 1886 und in Martinique (Antillen) 1887 akzentuiert sich dieses Bestreben nach großen Farbenmassen, das Bestreben, farbig vereinfachte und doch fein abgestufte Werke zu schaffen.
1888 -1890 findet er in wiederholten Aufenthalten in Pont-Aven in der Bretagne all die Elemente, deren er bedurfte, um das große Werk seiner späteren Tahitibilder zu schaffen. Sein Stil hatte sich mit der Zeit immer mehr vereinfacht. Er suchte die unendlichen Einzelheiten der Erscheinung in kühnem Wurf zusammenzufassen, indem er zuerst die Hauptkontouren mit dünnen, blauen Strichen auf der Leinwand festsetzte, dann die einzelnen Flächen mit den dominierenden Farben ausfüllte, um die Leinwand möglichst schnell bedeckt zu bekommen; zuletzt baute er die einzelnen Farbengruppen im einzelnen aus. Gauguin scheute sich durchaus nicht, im Interesse der Harmonie des Ganzen die einzelnen Farbentöne im Vergleich zur Natur zu übertreiben. Ein leuchtendes Gelb, ein warmes Lachsrot mit Violett gepaart begegnet jetzt immer häufiger. In Anlehnung an die primitiven Meister wendet er sich von dem naturalistischen Glaubensbekenntnis seiner Pissarro-Periode vollkommen ab. „Wenn ihr das Meer malen wollt, kehrt ihm den Rücken zu". Das ist ein Paradoxon, das sagen will, daß man nicht mikroskopisch genau sehen darf, wenn man große Einheiten schaffen will. In der Bretagne vertiefte sich Gauguin in die mystischen Tiefen der bretonischen Volksseele: der „gelbe Christus“ der Sammlung Fayet, der Kalvarienberg der Sammlung Fabre und „Jakob und der Engel" bei Meilheurat zeigen, wie die mystischen ldeen Gauguins Seele in jener Zeit erfüllten. Doch war für Gauguin die Mystik nicht ein Träger ethischer Ideen, wie für van Gogh, sie regte nur seine Phantasie an. Die Mystik erzählte ihm Märchen, denen er eifrig lauschte, weil sie ihn in unbekannte, geheimnisvolle Tiefen führten.
Aber das halb zivilisierte, südamerikanische Blut, das Gauguin von seiner Mutter hatte, verleugnete sich nicht. Die Sehnsucht nach einer bunten, sinnlichen, phantastischen Welt, nach heißer Sonne und barbarisch prächtigen Farben hat ihn im Häusermeer von Paris nie verlassen und sie trieb ihn im Jahre 1891 in die Südsee nach Tahiti. Seine sich immer schwieriger gestaltende materielle Lage mag den Entschluß beschleunigt haben. Durch den Verkauf von 30 Bildern, der im ganzen ungefähr 10.000 Fcs. einbrachte, deckte Gauguin die Kosten der Überfahrt und der Einrichtung in Tahiti. Bald wurde er heimisch. In dem köstlichen Buche Noa - Noa hat Gauguin selbst geschildert, wie er in dem Farbenrausche der Südsee-Perle wieder auflebt, wie er hier seinen Traum eines sorglosen, heiteren, primitiven Naturzustandes verwirklicht, fand. Er kehrte den europäischen Ansiedlungen mit ihren Zollbeamten, Matrosen, Soldaten und Kaufleuten sobald als möglich den Rücken und wandte sich in das Innere des Landes, wo er von den Eingeborenen sehr bald wie einer der ihren behandelt wurde. Alle Fesseln der Kultur, die ihm der lnbegriff der Häßlichkeit scheint, fallen von ihm ab. Seine Seele wird immer freier und ungebundener, und sein Werk beginnt, sich von all den Konventionen zu lösen, denen er sich in Europa nicht vollkommen entziehen konnte. Seine Farbenharmonien werden immer kühner, zugleich lernt er aber die schlanken, geschmeidigen, bronzefarbenen Körper der Maoris mit einem Linienrhytmus wiederzugeben, in dem eine schlichte, klassische Größe wohnt. Die Sammlungen Fayet und Sainère in Paris, sowie die des Grafen Kessler bergen die bedeutendsten Werke dieser Periode. Zugleich dringt Gauguin immer tiefer in die barbarischen und geheimnisvollen Überlieferungen der Maoris ein: seine Holzschnitte, die köstlichen, illuminierten Manuskripte aus jener Zeit, vor allem das von Noa-Noa, sowie die primitiv grandiosen Holzskulpturen bezeugen dies.
Gauguin hatte das Bewußtsein, eine neue, reiche Welt erobert, einen neuen künstlerischen Stil gefunden zu haben. Stolz kehrte er 1893 aus Tahiti zurück. Bei Durand-Ruel stellte er 46 Werke aus, die Frucht seines Aufenthaltes in der Südsee. Doch fand seine neue Kunst kein Verständnis. Der materielle Erfolg war ebenfalls nicht der Rede wert. Gauguin musste erkennen, daß für ihn in Europa so bald nichts zu hoffen sein werde. So ließ er 1895 nach einer Zeit voller Mühsale, Enttäuschungen und Entbehrungen seine in Paris befindlichen Bilder versteigern und wandte sich wieder nach Tahiti. Doch auch hier fand er keine Ruhe, da sein reizbarer Charakter ihn von einer Verwicklung mit den Behörden in die andere führte, 1901 siedelte er nach Dominique, der größten der Marquesas-Inseln, über, wo er in tiefster Zurückgezogenheit und leider auch in immer größerer Bedrängnis lebte. Die einzigen Lebenszeichen, die von ihm nach Europa drangen, waren die Sendungen von Gemälden und die köstlichen Manuskripte, in denen er eine Fülle tiefer und großer Eindrücke nierdergelegt hat. Er wurde in Paris zur Legende. Und als er 1903 in großem Elend einer Krankheit erlag, die ihn schon lange gequält hatte, waren es nur wenige getreue Freunde, die den Verlust, den die Kunst in diesem Augenblick erlitt, zu würdigen wußten.
Unaufhörlich ist seither der Ruhm seines Lebenswerkes gewachsen und heute ist uns Gauguin einer der großen Künstler, die uns geholfen haben, aus dem Impressionismus die Elemente einer neuen monumentalen Kunst zu entwickeln. Wir bewundern die klassische Linie und die großzügige Auffassung in seinen Zeichnungen und Bildern aus der Tahiti-Periode. Er ist einer der Künstler, die uns den Reiz primitiver schlichter Kunst wieder erschlossen haben. Man hat Gauguin des Exotismus und des Snobismus angeklagt und das taten zumeist jene Leute, die er mit einer recht tollen Bizarrerie erschreckte, um ihnen nichts von den Schätzen seines Innern offenbaren zu müssen. Wenn wir aber mit Liebe seine Werke betrachten und seine Schriften lesen, so strömt das warme und große Gefühl dieser reichen Künstlerseele in uns über. Wir verstehen, warum Paul Gaugins reiches Lebenswerk sich so gestalten mußte, wie es gewachsen ist.
Paris, März 1907.
RUDOLF ADALBERT MEYER."
Catalogue Structure
Preface, p. 5-12
"Holzskulpturen" [Paul Gauguin], cat. no. 1-6, p. 15
"Keramik" [Paul Gauguin], cat. no. 7-10, p. 15
"Pastelle, Zeichnungen, Lithographien, Holzschnitte" [Paul Gauguin], cat. no. 11-31, p. 16
"Ölgemälde" [Paul Gauguin], cat. no. 32-72, p. 17-18
Additional Information
Other Mediums listed
Note
"Herrn Dr. Rudolf Adalbert Meyer und Herrn Alfred Reichert in Paris sprechen wir für die tatkräftige Förderung dieser Ausstellung unseren wärmsten Dank aus.", n.p.
Additional Notes
Catalogue date information: März-April 1907. Additional date information taken from:
Tobias G. Natter: Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne. Vienna 2004. p. 135.
The exhibition of Gauguins works takes place at Dorotheerg. 11, the exhibitions of the Postimpressionists at Graben 17. See:
Tobias G. Natter: Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne. Vienna 2004. p. 205.